Nadir Maguet: Freiheit in den Bergen

Nadir Maguet: Freiheit in den Bergen

Alles beginnt in seiner Kindheit, als er mit zwei Jahren zum ersten Mal Langlaufski anschnallt - dank seines Vaters, der Langlauflehrer ist. Wenig später kommen die ersten Wettkämpfe im Skilanglauf, Biathlon, Mountain Bike und ein Jahr lang auch im Fußball. Mit fünfzehn entdeckt aber Nadir Maguet, der auch Magier genannt wird, seine wahre Natur im Skibergsteigen. Von da an verbessert sich der junge Athlet aus dem kleinen Bergdorf Torgnon im Aosta-Tal kontinuierlich, indem er die Latte immer höher setzt und sich ständig neuen Herausforderungen stellt. Schließlich entscheidet er den U23-Weltcup für sich und gewinnt drei Silbermedaillen bei den Weltmeisterschaften in Verbier. Seit Jahren nimmt er als Spitzensportler im Sommer auch an einigen der härtesten Wettkämpfe der Welt im Skyrunning und Vertical Running und an mehreren Bergmarathons teil. Der vielseitige Athlet Nadir erlebt den Berg in völliger Freiheit und in all seinen Facetten. Dort kann er sich am besten entfalten und immer neue Ziele suchen, ohne jegliche Grenze. Nach einigen Jahren versucht er sich auch im Fast & Light-Bergsteigen, zuerst gemeinsam mit Francois Cazzanelli, Bergführer und Teil des Athletenteams von La Sportiva, später mit Solo-Projekten. So entsteht in ihm der Wunsch, Schnelligkeitsrekorde bei der Besteigung der drei ikonischen Berge Piz Bernina, Ortler und Großglockner aufzustellen. Ein Traum, der diesen Sommer in Erfüllung gegangen ist und der beweist, dass Nadir Maguet in die richtige Richtung läuft.

 

Wie kam die Idee für dieses Projekt? Was bedeutet es für dich?

Ich glaube, dass der Übergang zur Welt des Bergsteigens ein natürlicher Schritt war. Aufgrund der vielen Wettkämpfe und meiner jahrelangen Bergerfahrung war ich technisch und physisch gut vorbereitet. Ich hatte bereits einige Projekte mit Francois Cazzanelli im Stil des Fast & Light-Bergsteigens unternommen, eine Form des Bergsteigens, die auch dank der neuen Produkte, die sehr leicht und trotzdem extrem leistungsstark sind, möglich ist. Nach diesen ersten Bergsteigererfahrungen habe ich gedacht, mich mit einigen schnellen Besteigungen herauszufordern: So ist mir die Idee für das Projekt für diesen Sommer gekommen. Ich habe Antworten gesucht, die ich auch erhalten habe: Ich wollte herausfinden, ob ich das Potenzial habe, bestimmte Bergsteigerprojekte zu unternehmen. Nun bin ich mir bewusst, dass ich die Fähigkeiten besitze, in den nächsten Jahren ehrgeizige Abenteuer umzusetzen.

 

 

Wie hast du dich auf diese Herausforderung vorbereitet und deine Ziele bestimmt?

Die Grundidee war, Schnelligkeitsrekorde bei der Besteigung von drei heimatfernen Bergen aufzustellen: Ich habe absichtlich keine Berge aus dem Aosta-Tal gewählt, wo ich alles unter Kontrolle gehabt hätte. Ich wollte meine Komfortzone verlassen und mich mit Solo-Projekten herausfordern. Daher habe ich drei symbolische Berge und eher schöne als schwierige Grate gewählt, auch wenn sie nie leicht zu begehen sind: Sie ziehen mich mehr an und passen gut zum Fast & Light-Bergsteigen, wo sowohl Bergerfahrung als auch körperliche Fitness wichtig sind. Das erste Projekt war die Besteigung des Piz Bernina (4.049 m), des einzigen Viertausenders der Zentralalpen, über den Biancograt, einen der faszinierendsten Grate der Alpen.  Ich bin von Pontresina aus gestartet, und habe für 16 km und 2400 Höhenmeter 2h44’13” gebraucht - der bisherige Rekord war 3h21’. Als zweites habe ich den Ortler (3.905 m) bestiegen, den berühmtesten Berg zwischen Südtirol und dem Veltlin, und zwar über den auch sehr schönen Hintergrat: Ich bin bei der Pfarrkirche Sulden gestartet und habe 8 km und 2100 Höhenmeter in 1h43’12” zurückgelegt - der bisherige Rekord war 1h48’. Schließlich bin ich über den Studlgrat auf den Großglockner (3.798m), den höchsten Berg Österreichs. Ich mag diesen Berg sehr, weil er aussieht wie ein kleines Matterhorn, mein Hausberg. Ich bin vom Lucknerhaus gestartet. Für 8 km und 1900 Höhenmeter habe ich  1h30’23” gebraucht. Der bisherige Rekord war 1h37’. Ich habe diese Ziele unter anderem deshalb gewählt, weil es bereits einen vorherigen Rekord gab und ich einen Vergleich mit einer anderen Leistung haben wollte, um meinem Projekt größere Relevanz zu verleihen.

 

Welche waren die anspruchsvollsten Momente und heikelsten Passagen?

Alle Besteigungen selbst zu planen war natürlich sehr anspruchsvoll, so wie allein am Berg unterwegs zu sein, denn das Wissen, dass man auf jemanden zählen kann, gibt dir eine bestimmte Sicherheit. In diesem Fall war ich aber auf mich allein gestellt. Einerseits ist es ein sehr schönes Gefühl, andererseits macht es aber auch etwas Angst. Das war die größte Lektion, die mir dieses Erlebnis erteilt hat. Der Piz Bernina war am schwierigsten zu besteigen: Er ist ewig lang und körperlich herausfordernder als die anderen. Es war auch schwierig, den richtigen Moment für die Besteigung zu finden, weil sowohl felsige Abschnitte als auch ein schneebedeckter Steilgrat vorkommen. Die Bedingungen mussten also perfekt sein. Der Gletscher auf dem Großglockner ist sehr groß und wahrscheinlich habe ich nicht die besten Bedingungen gewählt, da er sich aufgrund der Klimalage in einem ziemlich schlechten Zustand befand und sich sehr große Spalten gebildet hatten. Daher musste ich eine eigene Route finden, um weiterzukommen. Unter anderen Bedingungen wäre ich vielleicht noch schneller gewesen. Eine weitere Schwierigkeit bestand darin, das Projekt mit den Wettkämpfen abzustimmen, da ich bei optimalen Bedingungen manchmal mit dem Training beschäftigt war. Wenn du nur ein Projekt am Laufen hast, ist es natürlich einfacher, da du mehr Zeit und damit mit größerer Wahrscheinlichkeit Erfolg hast.

 

 

Welche Emotionen hast du verspürt und welche war die größte Genugtuung?

Der Bernina war für mich mit starken Emotionen verbunden, da es die erste und schwierigste Besteigung meines Projekts war. Deshalb habe ich mich danach gelassener gefühlt. Es war auch eine sehr intensive Erfahrung und ich hab viele Komplimente bekommen. Auf dem Ortler ist alles perfekt gelaufen, während ich mit dem Großglockner mehr Probleme hatte. Ich musste die Besteigung aufgrund der Wetterbedingungen zweimal verschieben und war daher nicht sicher, ob ich es dieses Jahr noch schaffen würde. Am Tag vor meinem Versuch lag nach einem Gewitter auf dem Grat noch Schnee: Ich hoffte, einen freien Grat vorzufinden, aber ich konnte den Gletscher nicht vorher erkunden und war daher auf die Informationen von Bergführern und Freunden angewiesen. Ich wusste wirklich nicht, was mich erwarten würde, und tatsächlich gab es sehr viele Spalten. Auf der Spitze des Großglockner habe ich eine unermessliche Zufriedenheit verspürt. Diese Zufriedenheit war viel größer als nach einem gewonnenen Rennen: Ich fühlte, das dies das richtige Projekt für mich war. Es erfolgreich zu Ende gebracht zu haben, hat mein Selbstbewusstsein gestärkt und mir meine Fähigkeiten vor Augen geführt.

 

Welche Produkte hast du für dieses Projekt verwendet und wie bist du mit ihnen zurechtgekommen?

Ich habe einen Prototypen der Bergschuhe AEquilibrium Speed verwendet, eine Neuheit im Bereich des Fast & Light-Bergsteigens, die La Sportiva im Frühjahr 2023 auf den Markt bringen wird. Ich finde dieses Produkt wirklich interessant, weil es dieselbe Leistung eines Bergschuhs mit mehr Struktur liefert, gleichzeitig aber extrem leicht ist. La Sportiva investiert sehr viel in Bergschuhe und die Ergebnisse lassen sich sehen. Zudem habe ich eine minimale und leichte Ausrüstung verwendet. Auch meine Kleidung war von La Sportiva und für diesen Zweck sehr nützlich: von AEquilibrium Softshell für die sehr windausgesetzten Körperteile bis hin zur Laufhose Triumph Pant mit technischem und atmungsaktivem Mesh, die perfekt für das Laufen in der Kälte ist.

 

 

Was bedeutet für dich eigentlich Herausforderung? Warum stellst du dich ständig neuen Herausforderungen?

Seit der Kindheit nehme ich an Wettkämpfen teil. Es liegt einfach in meiner Natur, mich ständig herauszufordern: Dabei verwirkliche ich mich selbst als Sportler, aber vor allem auch als Mensch. Neue Herausforderungen sind wie eine Sucht: Ich brauche sie, um mich gut und lebendig zu fühlen.

 

Was gefällt dir am Fast & Light-Bergsteigen?

Während eines Wettrennens trittst du gegen andere Leute an. Ein Projekt in den Bergen hingegen ist sehr persönlich, du wählst selbst, welchen Gipfel du besteigst und auf welche Art. Das gibt dir die Möglichkeit, dich selbst zu finden. Das ist es auch, was mir an persönlichen Projekten am meisten gefällt. Es stimmt, dass man dabei keine Zeit hat, sich umzusehen, aber die Welt dahinter ist wunderbar: Du kannst zum Trainieren gemeinsam mit Freunden Berge besteigen oder klettern gehen und starke Gefühle empfinden. Es gibt dir auch die Möglichkeit, dich mit dir selbst auseinanderzusetzen.

 

Du betreibst mehrere Sportarten: Was bedeutet für dich diese Vielseitigkeit, wie erlebst du sie und welche Vorteile bietet ein Training in mehreren Disziplinen?

Für mich bedeutet es, den Berg in all seinen Facetten zu erleben. Es ist eine Art zu leben, die mich mental aktiv und körperlich fit hält. Ich finde stets neue Anreize und Ideen, ich langweile mich nie und die ständige Variation motiviert mich. Mental bringt mir das sehr viel, ich trainiere immer mit Begeisterung.

 

 

Fühlst du dich wohler mit Bergschuhen, Skischuhen oder Trail-Running-Schuhen?

Ich betreibe das Bergsteigen erst seit wenigen Jahren, aber es ist eine Welt, in der ich mich wohl fühle und mit mir selbst zufrieden bin. Ich bin mit Leidenschaft dabei und es ist eine ständige Herausforderung, sich selbst stets zu verbessern. Das Skibergsteigen und das Laufen sind die zwei Welten, aus denen ich komme und die sozusagen zu meiner Komfortzone gehören - aber ich glaube, dass ich mich in den nächsten Jahren in Bergschuhen am wohlsten fühlen werde.

 

Wer ist der beste Bergsteiger aller Zeiten?

Walter Bonatti.

 

Welche Bergsteiger inspirieren dich?

Ich bewundere  Francois Cazzanelli – wegen seiner persönlichen Entwicklung, wegen unserer Freundschaft, vor allem aber wegen der Leidenschaft und Hingabe, die er in jede Unternehmung steckt. Ich lerne sehr viel von ihm, sowohl beim Bergsteigen als auch menschlich, er ist mein Bezugspunkt für das Bergsteigen.

 

Wie siehst du dich in Zukunft? Welche sind deine kurz- und langfristigen Projekte?

In diesem Moment meiner Karriere weiß ich genau, wie mein Weg in den nächsten Jahren aussehen wird. Es gefällt mir, mich als Athlet und Mensch weiterzuentwickeln und zu wachsen. Ich möchte weiterhin Wettkämpfe bestreiten und anspruchsvolle Bergsteigerprojekte unternehmen: Das Projekt in diesem Sommer war nur der Anfang. Mein Traum ist es, den Schnelligkeitsrekord des Matterhorns zu brechen. Ich sehe diesen Berg jeden Tag und würde es sehr bereuen, wenn ich es am Ende meiner athletischen Karriere nie versucht hätte. Ich würde mich gern mit einigen Projekten im Hochgebirge herausfordern, immer im Stil des Fast & Light-Bergsteigens, entweder alleine oder mit einem Freund, wie etwa Francois Cazzanelli. Ich würde außerdem gerne Bergführer werden, da ich auch in Zukunft in diesem Bereich tätig sein und meinen bisherigen Weg weitergehen möchte.

 

La Sportiva