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„Hätte ich ein zweites Leben, würde ich es mir genauso wünschen“
Als kleines Kind im Kindergarten zeichnete er das Matterhorn. Als Erwachsener hat er es schon 92-mal bestiegen (das erste Mal mit 13 Jahren). Wer ans Schicksal glaubt, denkt vielleicht, dass seines schon vorgegeben war: Sein Vater und seine Großeltern waren alle Bergführer – die Nachnamen Cazzanelli und Maquignaz (mütterlicherseits) sind mit der Geschichte des Bergsteigens verbunden. In Cervinia im Valtournenche-Tal, wo er auch heute lebt, denkt sich François dort, wo andere nur Felsen sehen, neue Routen aus: Sowohl für seine Hausberge als auch für die Berge in Nepal, China, Alaska, Patagonien und in der Antarktis. Vielleicht hatte François Cazzanelli, 31 Jahre alt und seit 2011 Bergführer, einen Traum, den er voranbringen musste. Und nun verwirklicht er diesen, auch dank der Unterstützung von La Sportiva, die den Bergsteiger aus dem Aosta-Tal ausrüsten wird.
Erzähl uns von dir. Tabuwörter: Berge und Bergsteigen
Hallo, ich bin François. Ich bin eine sehr zerstreute und hyperaktive Person.
Du bist ein Vorläufer des Fast & Light-Bergsteigens… Was gefällt dir am schnellen Bergsteigen? Gibt es da nicht einen Widerspruch mit dem aktuellen Trend, eins zu sein mit dem Rhythmus der Natur?
Der Berg gibt uns die Möglichkeit, uns nach unserem Rhythmus zu bewegen. Es ist nicht die Natur, die die Zeit vorgibt, sondern wir sind es, die entscheiden, wie wir sie erleben wollen. Schnelles Bergsteigen bedeutet für mich, vollkommen im Einklang mit der Natur zu sein. Auf diese Weise spüre ich ihre Größe umso mehr. Ich finde keine Genugtuung in Rekorden, aber darin, mir einen Weg auszudenken und ihn so schnell wie möglich zu bewältigen, indem ich der Route in meinem Kopf ohne Unterbrechung folge. Das ist für mich der wahre Reiz des Fast & Light-Bergsteigens.
Ist Bergsteigen nur etwas für Egoisten?
Eigentlich schon, ja. Wir sind als Bergsteiger alle irgendwie Egoisten. Ich halte mich für egoistisch, weil ich ständig ein persönliches Wohlbefinden anstrebe, das ich nur auf dem Berg finde. Das hängt nicht immer mit der Verwirklichung meiner Projekte zusammen, sondern auch mit der Suche nach dem, was mir guttut. Ich denke auch oft an die Menschen, die mich gernhaben, und versuche deshalb Kompromisse einzugehen. Wer mich aber gut kennt, weiß, dass mein Egoismus in vielen Situationen die Oberhand gewinnt. Ich bin mir dessen bewusst, akzeptiere es und versuche es auf andere Weise zu kompensieren, z.B. indem ich mit den Menschen, die mir am wichtigsten sind, meine Leidenschaft teile.
2018 hast du mit einem Kunden den Everest bestiegen. Es gibt wenige Bergsteiger, die so etwas machen… Wie verstehst du, ob du deinem Seilpartner trauen kannst?
Es gibt unterschiedliche Situationen. Den Everest habe ich mit einem Kunden nach einem langen Weg bestiegen, nach einer gemeinsamen Trainingsexpedition und nach fünf Jahren, in denen wir fast wöchentlich als Seilpartner klettern waren. So sind das richtige Feeling und die nötigen Voraussetzungen entstanden, die diese Besteigung ermöglicht haben. Wenn ich aber eine Person für meine persönlichen Projekte aussuchen muss, ist es selten, dass ich gleich auf Anhieb mit jemandem harmoniere. Meistens muss man sich erst mal kennenlernen, z.B. indem man einfach eine Kletterwand bezwingt; der Rest ergibt sich dann von selbst. Die Beziehungen zu meinen Seilpartnern sind mir sehr wichtig: Ich glaube, ein Team funktioniert immer besser als eine einzelne Person.
Was suchst du in einem Seilpartner?
Vor allem ein persönliches Feeling, das über den bergsteigerischen Wert einer Person hinausgeht. Ich suche die Freude, Zeit miteinander zu verbringen. Außerdem suche ich bestimmte technische und moralische Eigenschaften, wie z.B. einen zielstrebigen Partner, der bereit ist zu leiden, statt jemanden, der zwar besser ist als ich, aber bei der ersten Schwierigkeit umkehren möchte.
Ist man als Bergsteiger auf der Suche nach Qualen oder nach Schönheit?
Zweifellos Schönheit. Es wird uns nicht vom Arzt verschrieben, den Berg zu besteigen, wir machen es aus Genuss, weshalb die Anstrengung und der Schmerz in den Hintergrund treten. Ich erinnere mich nie an die Anstrengung einer Besteigung. Ich gehe auf den Berg, weil ich da ich selbst sein kann und es mir guttut. Der Rest ist unwichtig.
Was hältst du von denjenigen, die über ihre Expeditionen sprechen, bevor sie überhaupt gestartet sind?
Das mag ich nicht so… Wir leben heutzutage in einer Welt, in der alle alles gleich wissen wollen, aber ich war immer schon der Meinung, dass es besser ist, zuerst die Dinge zu machen und dann erst darüber zu reden. Deshalb erzähle ich vor meinen Expeditionen nur wenig. Manchmal schafft man nur hohe Erwartungen und verfehlt dann das Ziel.
Bergsteigen by fair means – was ist deine persönliche Definition davon?
By fair means scheinen mir nur große, leere Worte zu sein. Ich ziehe es vor zu sagen, dass man am Berg mit den eigenen Kräften zurechtkommen muss: Ein Bergsteiger muss sich in jeder Situation selbst zu helfen wissen.
Der schlimmste Moment, den du am Berg erlebt hast?
Einer der schlimmsten Momente war mein Unfall 2016, als ich mit Giampaolo Corona den unbestiegenen Gipfel des Kimshung (6781 Meter) in Nepal erreichen wollte und durch einen Steinschlag am rechten Arm verletzt wurde. Darauf folgte ein sehr schwieriger Abstieg, der nur dank des Könnens und der Professionalität meines Begleiters, der mir das Leben gerettet hat, möglich war. Als wir wieder beim Zelt waren, hat mich der Hubschrauber abgeholt und nach Kathmandu gebracht, wo ich notoperiert wurde.
Wie sieht die Zukunft des Bergsteigens deiner Meinung nach aus?
Bergsteigen ist eine komische Sache, denn seine Geschichte ist sehr zyklisch. Zuerst haben wir die Berge „erobert“, dann haben wir sie erneut auf schwierigeren Hängen bestiegen, dann gab es die Winterbegehungen und schließlich die Einzelbegehungen. Das, was wir in den Alpen gemacht haben, geschieht heute im Himalaya. Den zukünftigen Generationen wünsche ich, dass sie einfallsreich sein mögen und etwas Neues ausprobieren, anstatt den Spuren der Vergangenheit zu folgen. Ein Bergsteiger ist tot, wenn er keine Fantasie mehr hat, denn die Fantasie ist es, die uns eine Route sehen lässt, wo unsere Vorgänger nichts gesehen haben. Das Mixed-Klettern oder das Drytooling haben Berge zur Geltung kommen lassen, die vorher kein Mensch beachtet hat. Ich habe sehr intensive Abenteuer auf Gipfeln erlebt, auf die von den meisten verächtlich herabgeblickt wurde; das ist passiert, weil mich die Neugier angetrieben hat. Ich hoffe, dass zukünftige Bergsteiger immer neugierig sind und viel Fantasie haben.
Auf welche Berge wurde von Bergsteigern verächtlich herabgeblickt?
Auf den Hausbergen etwa, zwischen dem Valtournenche-Tal und dem Val d’Ayas-Tal, haben wir drei anspruchsvolle Mixed-Kletterrouten auf der Gran Sommetta geschaffen (auf dem Gipfel steht eine Marienstatue, mit einem tollen Ausblick auf das Matterhorn). Ein Berg, der auf den ersten Blick banal erscheinen könnte. Aber einen Hang zu erklimmen, den vorher noch nie jemand besteigen wollte, hat uns sehr viel gegeben. Das gleiche gilt für den Himalaya: Oft begeben wir uns nur in die Basislager der Achttausender, mit unserem Ziel vor Augen, ohne zu sehen, dass es um uns eine Welt zu entdecken gibt. Aus diesem Grund mache ich manchmal mehr Fotos von der Umgebung als vom Berg, den ich besteigen will. Mir gefällt es auch, neue Dinge auf berühmten Gipfeln auszuprobieren. Ich mag es unkonventionell zu sein und gegen den Strom zu schwimmen. Den Manaslu, einen Achttausender, in 18 Stunden zu besteigen, war eine große Herausforderung, die mich besonders faszinierte. Obwohl im Basislager viele Leute waren, habe ich als einziger daran gedacht.
Wann denkst du dir eine neue Route aus? Beim Duschen? Woher nimmst du die Inspiration?
Wenn man es sich am wenigsten erwarten würde. Am 31. Dezember habe ich mit meiner Freundin meine Oma, die 94 Jahre alt ist, besucht. Silvester gefällt mir nicht und am nächsten Tag musste ich arbeiten. Alessia hat sich mit meiner Oma unterhalten und ich habe am Handy einige Bergfotos angeschaut. Nach einiger Zeit hat mich Alessia gefragt, was ich gerade tue und als ich ihr geantwortet habe, war sie verärgert und hat mir ordentlich den Kopf gewaschen (lacht). Aber in solchen Momenten kommt mir die Inspiration für meine nächsten Projekte.
Du arbeitest bereits seit zwei Jahren mit La Sportiva zusammen Es ist an der Zeit, Bilanz zu ziehen…
Meine Bewertung ist sehr positiv: Es ist das erste Mal, dass ich innerhalb so kurzer Zeit derartig im Einklang mit einem Unternehmen stehe. Bei La Sportiva habe ich mich sofort zuhause gefühlt. Für mich ist es sehr wichtig, ein gutes Feeling mit den Menschen zu haben. Ich glaube, dass ich es auch geschafft habe, einen Beitrag zur Entwicklung der Produkte zu leisten, und habe super Rückmeldungen bekommen.
Nun beginnt ein neues Abenteuer: Das Unternehmen aus dem Fleimstal wird für deine gesamte Ausrüstung sorgen. Was erwartest du dir von dieser neuen Zusammenarbeit und in welche Richtung soll sie deiner Meinung nach gehen?
Ich werde ein Total-Look-Athlet von La Sportiva. Ich hoffe, weiterhin bei der Entwicklung technischer Bergkleidung helfen zu können, gleichzeitig aber auch mit meinen Bergsteigprojekten einen Beitrag zu leisten.
Die Achttausender sind eine einzigartige Welt... Wie weißt du, ob du einem Produkt auch in extremen Situationen vertrauen kannst? Wie merkst du, ob es funktioniert, und auf welche Aspekte achtest du am meisten?
Ein Produkt ist zuverlässig, wenn gewisse Grundsicherheiten gegeben sind. Es kommt vor, dass ich Prototypen auch für anspruchsvolle Projekte verwende, aber das passiert nur, weil in den letzten Jahren ein großes Vertrauen gegenüber den Personen, die sie entwickeln, entstanden ist. Außerdem versuche ich immer, die Produkte zunächst in weniger extremen Kontexten auszuprobieren. Dank meiner Erfahrung kann ich mir gleich ein Bild davon machen, wie weit ich gehen kann.
Wie wichtig ist es für die Sicherheit am Berg, dass Marken wie La Sportiva mit Bergführern zusammenarbeiten?
Äußerst wichtig. Meine Welt besteht aus drei komplementären, sich überschneidenden Kreisen: Franz als Bergführer, Franz als Bergsteiger und Franz bei der Hubschrauberrettung. Jede dieser Aktivitäten gibt mir gleich viel Zufriedenheit. Den Berg auf verschiedene Weisen zu erleben, hilft mir außerdem zu verstehen, was wirklich notwendig ist, um z.B. ein Problem oder einen Unfall zu vermeiden. Für eine Marke ist es sehr wichtig, auf erfahrene Personen zählen zu können, die Glaubwürdigkeit bieten und es ermöglichen, verlässliche und qualitätsvolle Produkte zu entwickeln.
Woher stammt der Wunsch, anderen mit der Hubschrauberrettung zu helfen?
Das hat mich immer schon angezogen. Im Laufe meines Lebens hatte ich das Glück – oder das Unglück, je nachdem, wie man es sehen möchte – Pannen zu haben und schwierige Situationen zu erleben, wie z.B. Unfälle, bei denen ich anderen helfen musste. Ich habe sofort gemerkt, dass ich in solchen Situationen einen sehr kühlen Kopf bewahren kann. Ich habe es automatisch geschafft, mich auf das zu konzentrieren, was getan werden musste, ohne allzu sehr beeindruckt zu sein. Daraus ist der Wunsch entstanden, anderen in Notlagen zu helfen. Ebenso hoffe ich, selber jemanden zu finden, der mir mal in der Not aus der Patsche hilft. Ich bin bei dieser Tätigkeit mit vollem Einsatz dabei, auch wenn es, wie überall, schöne und weniger schöne Seiten gibt. Das, was wir erleben, macht uns zu dem, was wir sind, und hilft uns zu wachsen und uns weiterzuentwickeln.
Welche drei Berge willst du in deinem Leben mindestens einmal gesehen haben?
Es gibt drei perfekte Berge, die ein Kind zeichnen kann. Das Matterhorn, das ich 92-mal bestiegen habe, das erste Mal mit 13: Es hat eine dreieckige, reine Form. Dann gibt es den Cerro Torre, den ich 2014 bestiegen habe. Und schließlich den K2, eine perfekte Pyramide: Es scheint mir unvorstellbar, von diesem Berg nicht fasziniert zu sein. Ich versuche ihn seit zwei Jahren zu besteigen, aber die Pandemie hat jeden Versuch abgeblockt.
Drei Dinge, die du nicht ausstehen kannst?
Hitze, sie macht mich schlaff. Käse, außer Mozzarella auf der Pizza, denn ich lebe von Pizza. Sagen wir so, ich hasse jeden Käse, der stinkt. Supermärkte und große Einkaufszentren: Das sind Orte, an denen ich mich unwohl fühle, nach einer Viertelstunde brennen mir die Augen und ich fühle mich erschöpfter als nach der Besteigung eines Achttausenders.
Wer ist Cazzanelli in einem zweiten, hypothetischen Leben?
Ich habe nie gedacht, eine zweite Chance zu haben, deshalb versuche ich, jeden Moment bewusst zu leben, weil ich glaube, dass jeder Moment einzigartig ist. Hätte ich die Möglichkeit, ein zweites Leben zu leben, würde ich es mir genauso wünschen.
Was steht für das Jahr 2022 an?
Ich würde gerne den K2 besteigen - ich versuche es schon seit 2020! Dieser Berg hat mich immer schon fasziniert: Wir sind gerade dabei, genau zu planen, was wir machen werden, aber sicherlich wird es etwas Unkonventionelles sein, also etwas ganz in meinem Stil.
Autor: Marta Manzoni
Fotos: Matteo Pavana
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